Bottle Tops

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Zu Beginn des Projekts etwas Handfestes!

Helft alle mit!

 Sammelt die Plastik-Schraubverschlüsse von:

Wasserflaschen, Milch- und Saftpackungen, TippEx, Klebestifte (leer!), Kappen für Malstifte, Sprühvorrichtungen…. (s. Rückseite!)

und werft sie in unseren Container! 

Damit helfen wir Martyna, einem Mädchen aus unserem Partnerland Polen, das neue Beine braucht. 

Bitte kein Glas und keinen Müll!! 

Jede Mutter möchte ihre Tochter glücklich sehen.

Ein Prinzessinnenkleid, ein Zwergkaninchen, eine Schaukel im Garten: Die meisten Mädchenträume sind erfüllbar. Was aber, wenn die Tochter sagt: „Mama, ich möchte Beine haben. So weiche Beine wie du.“?

Aneta Karbowska ist allein erziehend, der Ehemann verließ die Familie drei Monate nach Martynas Geburt. Sie gab ihre Stelle als Krankenschwester auf, um für Martyna zu sorgen, und lebt nun mit ihren Töchtern - die ältere, Roksana, ist 16 Jahre alt - von Sozialhilfe. Trotzdem setzte sie nach Martynas Kommunion alles dran, um ihrer Tochter eine privat finanzierte Behandlung in Deutschland zu ermöglichen. Denn dort, hatte sie gehört, werden Prothesen hergestellt, mit denen selbst Spezialfälle wie Martyna gehen können. Mit denen Martyna eines Tages auf eigenen Beinen stehen kann.

Aneta sparte jeden Zloty. Sie klopfte an die Türen aller Stiftungen, die es in Polen für Einzelschicksale wie das von Martyna gibt. Und sie sammelt seither Flaschenverschlüsse aus PET. Um sie an ein Recycling-Unternehmen zu verkaufen. Pro Tonne erhält sie 150 Euro. Sind die Deckel farblich sortiert, gibt es 100 Euro extra.

Eine Tonne, das sind etwa 200.000 PET-Verschlüsse. Die Kirchengemeinde, Martynas Schulkameraden und viele Bewohner von Brodnica sammeln mit, zeitweise steht der Hinterhof der Karbowskas voller Säcke mit Recyclingware.

Eigentlich dreht sich im Leben der Familie seither alles um Plastikverschlüsse.

Ein Traum ging in Erfüllung

Zwei Jahre später war es dann so weit: Aneta Karbowska hatte tonnenweise Deckel gesammelt und an genug Stiftungstüren geklopft - und Martyna bekam von der Orthopädietechnik Pohlig in Traunstein ihre ersten funktionierenden Prothesen angepasst. Automatisch geht dabei das rechte Bein nach vorn, wenn Martyna - in einem Beckenkorb ruhend - den Oberkörper nach links schaukelt, und umgekehrt. Als Martyna das erste Mal auf diesen Beinen stand, als sie plötzlich 135 statt 67 Zentimeter groß war und die Mama auf Hüfthöhe umarmen konnte, weinten alle - selbst die Techniker bei Pohlig. Martyna ließ sich fotografieren, lässig an die Wand gelehnt und ein Bein angewinkelt. Von dieser Pose hatte sie lange geträumt.

Martynas Strategie: Humor

Ein Traum, der im Sommer 2014 schon wieder ausgeträumt ist. Der Beckenkorb ist zu eng geworden und schmerzt, Martyna kann die Prothese nicht mehr tragen. Aneta verstaut das erneut angesparte Geld im Koffer, per Bus fahren sie und ihre zwei Töchter von Brodnica nach München. Der Bus ist rappelvoll, nur Martyna kann, eingekuschelt auf Mamas Schoß, schlafen: „Ich weiß ja, wohin mit meinen Beinen“, scherzt sie. Denn die fahren bequem im Gepäckfach mit. Humor als Strategie: Ihren Handicaps begegnet Martyna gern mit überraschend sarkastischem Witz.

Morgens um halb neun treffen Aneta, Roksana und Martyna am Münchner Busbahnhof ein. Müde sehen die drei aus, doch Zeit zur Erholung ist nicht eingeplant. Der Tag ist minutiös getaktet, Termine in der Orthopädietechnik Pohlig in Traunstein und in der orthopädischen Kinderklinik in Aschau reihen sich aneinander.

Mittags sitzt Martyna bereits auf der ersten Untersuchungsliege. Leicht verschämt zieht sie das schwarze Shirt mit der Aufschrift „Rockin' Girl“ nach unten, während Orthopädiemeister Kurt Pohlig sie vermisst. „Es liegt Wachstum vor“, meint er und blickt ernst zu Aneta Karbowska. Die nickt betrübt. Wachstum kostet.

Nagellack für die neuen Füße

Martyna aber hat ganz andere Sorgen: Ob die neuen Füße diesmal richtige Nägel haben könnten, lässt sie die Dolmetscherin fragen und guckt sehnsüchtig: Solche, die man auch lackieren kann? Pohlig lacht und nickt. „Danke“, sagt Martyna artig auf Deutsch. Zwei Stunden später in der orthopädischen Kinderklinik dreht Chefarzt Leonhard Döderlein Martynas Arme im Schultergelenk, tastet die zarte Wirbelsäule ab. „Sensationell, das Mädel! Perfekt adaptiert“, spricht er begeistert in sein Diktiergerät angesichts der Geschwindigkeit, mit der Martyna auf ihren Händen vom Rollstuhl über dessen Lehne auf die Untersuchungsliege klettert und ihm dort vorführt, wie sie auch ohne spezielle Besteckverlängerung essen kann. Seit Längerem klagt Martyna über Kreuzschmerzen, die Ärzte in Polen aber fanden nichts. Hier entwickelt Mediziner Döderlein in fünf Minuten eine Theorie: Der weiche Sitz des Rollstuhls sei schuld an den Schmerzen, er hängt zu stark durch. Eine zusätzliche Sitzschale aus Kunststoff soll den nötigen Halt geben.

Noch während die Dolmetscherin übersetzt, beginnt Martynas Unterlippe zu zittern. Tränen rinnen ihr über die Wangen, die sie nicht selbst abwischen kann, weil ihre unbeugbaren Arme das nicht zulassen. Die Mutter wischt mit einem Taschentuch über das Gesichtchen der Tochter, putzt ihr die Nase und versucht zu vermitteln zwischen Facharzt und Kind: Martyna habe Angst, dass die Schale sie im Rollstuhl fixiert und sie sich in der Schule nicht mehr so leicht zu den Freundinnen hinter ihr umdrehen kann.

„Zu eng“ waren die ersten deutschen Worte, die Martyna beherrschte, und „zu eng“ ist ihre größte Angst. Sie fürchtet nichts mehr, als die mühsam erarbeitete Mobilität wieder zu verlieren. Und was interessiert ein Kind der Wirbelschaden von morgen, wenn ihre Freunde heute über den „Eierbecher“ im Rollstuhl lachen?

Doch alles Jammern hilft nichts, die Sitzschale und ein neuer Beckenkorb sind unabdingbar. Also geht es zurück ins Orthopädiezentrum Pohlig, wo Martyna bald frei schwebend an einer Art Barren hängt, damit ihre Hüfte eingescannt und der Korb maßgefertigt werden können. „Metzger“ ruft sie dem Techniker hinterher, der sich ihre Beine unter den Arm klemmt und davonträgt. Martyna lacht und schaukelt leicht. „Stillhalten“, schimpft Kurt Pohlig demonstrativ, „bei Prothesen kommt es auf Passgenauigkeit an. Da darf man keine Kompromisse machen.“

Neue Beine und Füße mit Zehen

Aber man darf ein Herz haben für Kinderwünsche: Der Firmenchef spendiert ein paar neue Füße, aus Kunststoff und mit voneinander getrennten Zehen. Und mit Nägeln. Ehrfürchtig streichelt Martyna über die Füße, die zwar nicht so weich sind wie die der Mama, dafür aber fast aussehen wie echt.

Eine Woche müssen sich die Karbowskas dann auf dem Ferienbauernhof der Familie Bamberger gedulden, bis die Prothese fertig ist. Sieben Tage, in denen Aneta endlich loslassen kann: Die neuen Beine sind bezahlt, von der nächsten Anpassung ist noch nicht die Rede. Der Hinterhof voll unsortierter PET-Verschlüsse ist fern. Martyna spielt mit der Hofkatze und lässt sich von der Schwester auf dem Trampolin hinter dem Gästehaus in die Luft katapultieren. Hat Roksana keine Lust, ruft Martyna: „Nur mir hast du es zu verdanken, dass du jetzt nicht in der Schule hockst!“

Zehennägel in türkisblau mit glitzernd rosa Blütenblätter

Ihren letzten Termin vor der Heimreise hat Martyna dann in München-Pasing. Nageldesignerin Violeta, eine Freundin von Dolmetscherin Sylwia, hat versprochen, die neuen Füße zu verschönern, „gut, dass die nicht stinken“, sagt Martyna trocken.

Während Violeta arbeitet, malt das Mädchen neben ihr klitzekleine Blumen auf Kunstnägel, den Pinsel gekonnt mit den vier Fingern der rechten Hand balancierend. „Gut so“, lobt Violeta. Leise murmelt sie: „Dagegen kannst du jede Ergotherapie wegschmeißen.“ Die Ergotherapie, die Martyna in Polen gar nicht hat.

Zum Schluss leuchten die Zehennägel türkisblau, glitzernd rosa Blütenblätter zieren sie. Und Martyna jubelt: „Guckt mal! Ich habe Strandfüße!“

Aneta Karbowska wischt sich heimlich eine Träne von der Backe, Martyna soll sie nicht weinen sehen. Jetzt, in diesem Moment, ist ihre kleine Tochter glücklich. Für diesen Augenblick hat Aneta alles gegeben, hat geschuftet und sich aufgerieben. Es hat sich gelohnt.

Der nächste Wachstumsschub wird kommen

In der Tasche der Mutter allerdings steckt bereits der Kostenvoranschlag für die nächste Prothesenanpassung. Schon bald rechnet der Arzt mit einem großen Wachstumsschub bei Martyna. Bis zu 20.000 Euro könnten dann fällig werden, damit Martyna neue Prothesen bekommt. 20.000 Euro stehen in Anetas Kopf für 80 Tonnen Hartplastik im Hinterhof. Für 16 Millionen Flaschenverschlüsse. Ihr Kampf um Martynas Glück geht weiter. Schon morgen.